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Personen: Wilhelm Vogel Lija, seine Frau Wolf, sein Sekretär Alex, sein Sohn Ieva, dessen Bekanntschaft Santa, deren Schwester Dina ein Polizist |
Alex dreht die Musik laut. Ieva setzt sich an den Tisch. Nach einem Augenblick beginnt draußen ein Hund zu bellen. Alex tritt ans Fenster, dann geht er zur Haustür hinaus. Er kommt mit einem schönen jungen Mädchen zurück; es ist Santa, Ievas Schwester. Die beiden erblicken einander. | |
Santa | brüllt Na super!!! |
Alex macht die Musik aus. Pause. | |
Santa | Echt geil! Die Alte geht an die Decke, und du hängst hier rum! |
Ieva | Was hat sie denn? |
Santa | Dein Kleiner will nicht einschlafen. Heult die ganze Zeit. |
Ieva | springt auf Und warum? |
Santa | Woher soll ich das wissen? Schläft halt nicht. Ich bin rausgegangen, Paschka hat gesagt, daß du mit ’nem Kerl hier rein bist. |
Ieva | Seht ihr, nur wegen diesem schrecklichen Hund! Er verfolgt meinen Kleinen bis in den Schlaf... Hat er auch kein Fieber? |
Santa | Was fragst du mich das! Renn’ doch nach Hause und sieh nach. Aber nein, sitzt hier rum und hört Musik. |
Ieva | zu Alex Ich komme gleich wieder. Es bleibt dabei, wie wir verabredet haben. Falls sie kommen, sollen sie mich holen. |
Alex | Ja, klar. |
Ieva | bereits in der Tür, zu Santa Kommst du nicht mit? |
Santa wirft einen Blick auf den Tisch, dann auf Alex. Der zuckt mit den Schultern. | |
Santa | Nö. |
Ieva wendet sich zum Gehen, dann hält sie inne. | |
Ieva | Ich habe Angst vor dem Hund. |
Santa | Wieso ’n das. Ist doch schon ’n Dinosaurier. |
Alex begleitet Ieva hinaus. Santa geht zum Tisch und reißt sich ein Stück Braten ab. Alex kommt zurück und betrachtet sie eine Weile. Sie dreht sich um und zuckt zusammen. | |
Santa | Ist doch schon ’n Dinosaurier, dieser Hund. Sie stopft sich den Rest in den Mund. |
Alex | Hast du Hunger? |
Santa | ’n bißchen schon. |
Alex | Dann setz dich und iß. |
Santa | setzt sich Mmm. Musik kannste auch auflegen, aber was besseres. |
Alex | Was ist für dich was besseres? |
Santa | Egal, nur nicht das, was Ieva sich anhört. Sie steht schon immer auf voll debile Musik. |
Alex sieht zu, wie sie eine Zitronenscheibe mit Schale in den Mund schiebt und aufißt. | |
Alex | Du hast die Schale mitgegessen. |
Santa | Was für ’ne Schale? |
Alex | War das keine Zitronenscheibe? Du hast sie mit Schale aufgegessen. |
Santa | Na und? |
Alex winkt ab und steckt sich am Kamin eine Zigarette an. Santa schenkt sich Wein ein und schneidet ein Stück Braten ab. | |
Alex | Wie heißt du? |
Santa | Wie alt bist du, wieviele Kinder hast du, welche Schuhgröße... Na schön. Santa. |
Alex | Du bist Ievas Schwester? |
Santa versucht hinunterzuschlucken. | |
Alex | Du bist Ievas Schwester? |
Santa trinkt Wein nach und verschluckt sich. | |
Alex | Was schlingst du denn so? Hast du noch nichts gegessen? |
Santa | Irgendwie nicht, nee. Gestern war’s Scheiße, ich komm nach Hause, und Mutter geht an die Decke. Geht mir total auf den Keks. Ievas Kleiner schläft nicht, und die pflaumt mich an. Sie trinkt Wein, wischt sich ordentlich die Hände an der Serviette ab, rückt den Stuhl zurück und steht auf. Na, dann werd’ ich mal gehn. |
Alex lacht. | |
Santa | Was is’n da dran so lustig? |
Alex | Nichts. Du bringst mich einfach gut drauf. |
Santa | Haste durchgehangen? |
Alex | Ja, so ziemlich. Bleib doch, vielleicht komm’ ich noch besser drauf. |
Santa | Ich kann nicht mehr lange. Sie sieht auf die Uhr. Hab’ nachher ’n Date. |
Alex | Nachher ist nachher. |
Santa | Auch richtig. Sie inspiziert das Zimmer. Coole Hütte. |
Alex | Hm. |
Santa | Früher war hier ’ne Wiese bis hinten zum Wald. Irre viel Stechgras. |
Alex | Stechgras? Sagt meine Mutter auch – Stechgras. |
Santa | Na ja, so’n Kraut mit scharfen Blättern. Soll’n das, ey, von wegen "Sagt meine Mutter auch – Stechgras." Meinste, so was kann nur ’n Neureicher sagen, oder was? Ey, habt ihr auch ’n Balkon? ’n Wintergarten? Und ’n Whirlpool? Sind irre hübsch, diese Whirlpools. Hab’ schon mal einen gesehen, laß mal. |
Alex | Fertig eingerichtet ist nur dieses Zimmer hier. Aber ich kann dir auch meine Bude zeigen. |
Sie bleibt stehen. | |
Alex | Na komm. – Was ist denn? |
Santa | Du bist ja ’n scharfer Typ. Gleich ab auf deine Bude. |
Alex begreift zunächst nicht, dann lacht er. | |
Alex | So ’n Quatsch. |
Santa | Ja, ja... Du hast da nicht zufällig so ’n Bett mit Wasser drin? Sie sieht die schlafende Dina und tritt näher. Ey, Dini is auch hier?! Sanft Dina! Dina! – Was hat die denn hier zu suchen? |
Alex | Wollte mit Mutter irgendwas abklären wegen so ’nem Artikel in einer Zeitschrift. |
Santa | Is’ ja ’n Ding... War ’n cooler Typ, der Mâris, ’n bißchen durchgeknallt vielleicht. Dann weißt du also, daß er... |
Alex | Ja. |
Santa | Kommt nicht mehr raus aus ihrem Zimmer. Nur nachts, dann verschwindet sie irgendwohin. |
Alex | Soll sie schlafen. Ieva hat versprochen, sie nach Hause zu bringen. |
Santa | Ach, und wohin? Ihr Bruder ist in die Wohnung eingezogen, ’n völlig geklatschtes Monster, macht ständig Terror. Solange Mâris da war, hat er Bammel gehabt – wenn was war, hat March ihn sofort vor die Tür gesetzt. Tja, und jetzt hat er freie Bahn. |
Alex | Meine Mutter ist auch ein Monster. Hat sich ziemlich mies benommen. |
Santa | So is’ das halt, Alter... Sobald einer ’n Hänger hat, machen ihn die andern fertig... aber Dina is’ cool. ’ne intellegente. Echt! Sie hat mir mal so ’n Buch gegeben, über Liebe. Über geistige Liebe, verstehst du? Nicht über irgendeine, sondern geistige... |
Alex lacht. | |
Santa | sauer Wie bist du denn drauf, Alter... kapier’ ich nich’. Die ganze Zeit am Kichern. |
Sie gehen nach oben. Dina versucht vergeblich sich aufzurichten, bleibt daher auf dem Rücken liegen, starrt die Decke an und preßt ihre Handtasche gegen die Brust. | |
Dina | Über geistige Liebe. |
Wolf kommt rückwärts aus dem Arbeitszimmer und versucht, die Tür möglichst leise zu schließen. Aus dem Zimmer erklingt Wilhelms verschlafene Stimme, Wolf erstarrt. | |
Wilhelm | Weck’ mich in spätestens zwanzig Minuten... |
Wolf | Natürlich, natürlich... |
Rasch schließt Wolf die Tür, eilt zum Kamin, sucht die kleine Flasche und öffnet sie. Er prüft gegen das Licht, wie voll sie noch ist, dann nimmt er einen Schluck und schüttelt sich. | |
Wolf | zum Feuer Na, was tobst du so? Willst du auch einen Schluck? Hier, sag’ mir, ob es gutgehen wird oder nicht. Er gießt ein wenig in die Flammen. Was fauchst du denn so? |
Dina | Es weist sie zurück. |
Wolf fährt zusammen. | |
Dina | Das Feuer weist die Frage zurück. Sie richtet sich auf und zieht ihre Schuhe an. Jemand hat mir die Schuhe ausgezogen... In diesem Haus gibt es tatsächlich gute Menschen... Hör mal, die Flasche hättest du nicht so weit wegstellen sollen. |
Wolf | Ist nicht mehr viel drin. |
Dina | Komm schon, gib mir einen Schluck. Ich sage dir, ob es gut gehen wird oder nicht. |
Wolf holt die Flasche hervor und reicht sie widerwillig Dina. | |
Wolf | Empfehlen können wir es eigentlich nicht. |
Dina | setzt zum Trinken an Wir? Wer sind wir? |
Wolf | Vorsichtig! |
Dina nimmt einen Schluck und prustet. | |
Dina | Himmel! Das ist ja reiner Alkohol. |
Wolf | Zur Wundbehandlung. |
Dina | Und warum süß? |
Wolf | Mit Glykose. Er versteckt die Flasche wieder. So sind die Frauen heutzutage. Saufen wie ein Loch. |
Dina | Na na na, wie ein Loch. |
Wolf | Faßweise. Er tritt an den Tisch, legt sich Salat auf und ißt. |
Dina | Aber selber heimlich Sprit süffeln. |
Wolf | geheimnisvoll Alles andere ist tabu. Alles vergiftet. |
Dina | Der Salat auch? |
Wolf | Nein, der Salat nicht! Apfelsinen aus Marokko, griechische Oliven und Zwiebeln von Bekannten aus dem Garten. Betrübt Aber einerlei – wie kann man so etwas essen... In diesem Haus ist es immer so: wenn Alkohol, dann irgendein Weinchen, wenn ’n Snack, dann unbedingt was arabisches oder palästinensisches – das ist nicht auszuhalten, pfui Teufel! Aber nie Schnaps mit Anschovis nie, nie, nie! |
Dina | Vielleicht solte ich auch ein bißchen Salat essen. Mir ist schlecht von dem Schnaps mit Glykose. |
Wolf legt Dina Salat auf und bringt ihr den Teller. | |
Wolf | Aber da draußen, da ist alles noch viel schlimmer. Alles ist geklont, genetisch manipuliert, chemisiert. Flüstert Wenn irgendwo draufsteht E soundso, dann darf man das auf gar keinen Fall essen. |
Dina | Wenn man jeden Tag ein bißchen Gift einnimmt, wird man eines Tages immun. |
Wolf | Unsinn. Ich will diesen Unsinn nicht mehr mitmachen. Ich will für all das nicht verantwortlich sein, das ist auch gar nicht mehr möglich. Deshalb mache ich nicht mit. |
Dina | Dann gehst du überhaupt nicht hinaus? Und vegetierst zwischen vier Wänden dahin? |
Wolf | Na, manchmal fahre ich zur Madonna... zu meiner Madonna... |
Dina | Deine Frau? |
Wolf | Alle Frauen sind heutzutage verkommen. Sie ist keine Frau, sie ist eine Madonna. Sie handelt in der Fußgängerunterführung am Bahnhof mit Spielzeug. Sie hat eine Wohnung in der Avotu iela. Sie ist ganz bleich und zart. Sie ist eine Madonna... aber davon begreifst du nichts. |
Dina lacht, Wolf errötet. | |
Dina | Eine Madonna... |
Wolf | Still! Sei still, habe ich gesagt! |
Dina lacht oder weint. | |
Wolf | Still, du… Säuferin! |
Dina verstummt. Wolf, der sich zum Gehen gewandt hatte, hält inne. | |
Wolf | Was hast du denn? |
Dina | Sprich es ruhig aus. Nun sag’ schon: du schlechteste aller Mütter, du Diebin, du Abschaum. |
Wolf | Hör auf. |
Dina | Sag’ es ruhig: du Mörderin deines Sohnes... |
Wolf kehrt um und setzt sich neben sie. | |
Wolf | Komm, laß uns aufhören. beruhigen wir uns... Niemand darf sich über sie lustig machen, auch du nicht... |
Dina | Wenn es diesen Artikel nicht gäbe, aber jetzt steht das da alles Schwarz auf Weiß... Diese Schande, jetzt ist das alles ganz real. |
Wolf | zieht ein großes Taschentuch hervor und reicht es ihr. Nichts machen, nichts schreiben, nichts sagen – das ist der Traum eines jeden Spießers. 100% Ruhe... |
Dina schneuzt sich und schweigt. | |
Wolf | Ich bin doch genauso, wenn ich so tue, als ob ich durchgeknallt bin... Ich habe eben Angst, meinen Wahnsinn zu verlieren, verstehst du... |
Dina | Wenn man doch die Zeit zurückdrehen könnte. |
Wolf | ... mich in einen Körper in warmen Pantoffeln vor dem Fernseher zu verwandeln... Wenn ich in der Straßenbahn sitze, dann schaue ich mir die Gesichter der Leute an – sie wollen nicht in der Straßenbahn sitzen, weißt du. Sie wollen Krieg, Leidenschaft, Gefühle, und nicht wie Mumien in gepolsterten Mausoleen vor sich hinrotten. Die Frauen wollen begleiten und warten, wollen treu und stolz sein, und die Männer siegen, heimkehren oder sterben... Der Krieg ist die einzige Hygiene der Menschheit, sagt Marinetti. |
Dina | Dein Marinetti ist ein Schwachkopf. Er hat noch noch niemanden gebärt und dann begraben... bitter Wenn du das alles zu meiner Rechtfertigung sagst, kannst du es gleich sein lassen. Es gibt keine Rechtfertigung. bitter Ich werde das Taschentuch waschen und zurückbringen, ganz bestimmt... Ich gehe nach Hause. |
Wolf | Wer wartet denn dort auf dich? |
Pause. | |
2001/2002
Lettischer Originaltitel: Dzelzszâle |