Pressespiegel „Die dunklen Hirsche“
Staatstheater Stuttgart
(Premiere am 11. 1. 2002)
Eßlinger Zeitung | 13. Januar 2002
August aus dem Schornstein
Das Theater im Depot zeigt Inga Abeles Drama "Die dunklen Hirsche"
in deutschsprachiger Erstaufführung
[...] Das Stück selbst bringt vor allem eines auf: die Frage nach einer "Wahrheit" im perspektivischen Spiel der Behauptungen. Hat Alf auf seine erste Frau geschossen? Hat August Alf nach einem Unfall einfach liegen lassen? Dass die Vergangenheit punktuell auftaucht, ohne geklärt zu werden, dass alte, unausgesprochene Konflikte die Gegenwart vergiften, darin geraten Inga Abeles Figuren zwischen die Fronten von Damals und Heute, zwischen die Ansprüche der eigenen Wahrheit und der des Anderen.
Anette Sosna
Stuttgarter Nachrichten | 14. Januar 2002
"Die dunklen Hirsche" von Inga Abele im Depot in Stuttgart
Im Lebensmorast stecken geblieben
"Die dunklen Hirsche" heißt Inga Abeles Familientragödie, die im Theater im Depot als deutschsprachige Erstaufführung gezeigt wird. Die 1972 in Riga geborene Autorin beschreibt darin eine nach der Auflösung der Sowjetunion in die Orientierungslosigkeit gestoßene lettische Gesellschaft. Deren Lebensstrategien zwischen Opportunismus und Besitzstreben sind aber auch hier zu Lande durchaus keine Unbekannten.
[...] Wenn Katja Bürkles Ria beispielsweise ihre Augen zu Schlitzen ohnmächtigen Zorns verengt, weil ihr Vater Alf (Michael Stiller: überzeugend als unter chronischer Fremdbestimmung leidender Verlierer) die geliebten Hirsche an den geschniegelt dumpfen Schweinehändler Leon (Bernd Gnann) verkaufen will. Oder wenn Ria mit jugendlicher Naivität die Lolita mimt, damit Alfs ehemaliger Kommilitone August Drannberg (Sebastian Röhrle: ein charmanter Schluri mit weltmännischer Attitüde) sie ins Leben mitnimmt. "Ich gehe jetzt", wird das junge Mädchen am Ende zum Vater sagen – und bleiben.
Horst Lohr
Stuttgarter Zeitung | 14. Januar 2002
Unter Hirschen
Deutsche Erstaufführung: Inga Âbeles Stück in Stuttgart
[...] Dies ist eine Geschichte aus Lettland. Inga Âbele hat sie sich ausgedacht, eine junge Autorin aus der lettischen Hauptstadt Riga, noch keine dreißig Jahre alt. Erzählungen und Gedichte hat sie bisher veröffentlicht, einen Roman und ein Filmdrehbuch. Bevor wir über die deutsche Erstaufführung ihres Stückes "Die dunklen Hirsche" im Stuttgarter Theater im Depot auch nur ein weiteres Wort verlieren, sei zunächst einmal das Wichtigste festgestellt: Wenn es denn überhaupt mit dem Heranrücken der Osteuropäer und der Balten an uns Westler etwas werden sollte, dann nur, wenn wir ihre Geschichten zu lesen und zu sehen bekommen; alte Geschichten und neue Geschichten. Eine solche Feststellung mögen manche für platt halten. Dann ist sie eben platt. Aber wahr ist sie trotzdem. [...]
Wer hat behauptet, es seien immer schöne Geschichten, die wir da aus dem weiterhin noch neuen Osten und Norden unseres Kontinents zu hören bekommen? Sind es nicht.
Aber brauchen tun wir sie trotzdem.
Tim Schleider
Süddeutsche Zeitung | 18. Januar 2002
Der Weg ist das Ziel
Doppelentdeckung: Charlotte Koppenhöfer inszeniert
„Die dunklen Hirsche“ von Inga Âbele am Stuttgarter Staatstheater
[...] Geschrieben hat Inga Âbele „Die dunklen Hirsche“ vor zwei Jahren. Uraufgeführt wurde das Stück der lettischen Autorin vor drei Monaten in Riga. Bisher liegen von ihr ein Erzähl- und ein Gedichtband sowie ein Roman vor. Man könnte da leicht den Verdacht hegen, die 29-Jährige wolle sich schnell in die Charts schreiben, und man müsse darauf achten, ob sie tatsächlich etwas zu sagen hat. Die Überraschung der „Dunklen Hirsche“ ist, dass man es mit einem überaus gelungenen Theatertext zu tun hat. Âbele versteht es geradezu meisterhaft, kleine Charakterstudien anzufertigen, die baltische Seele auszuloten und aktuelle Zeiterscheinungen unaufdringlich einzuflechten. Die Umbruchsituation im postkommunistischen Lettland spiegelt sich in Einzelschicksalen. Was in den letzten Jahrzehnten gewesen ist, meinen alle zu wissen. Doch wohin die Reise gehen soll, das weiß niemand. [...]
Jürgen Berger
www.literatur.lv
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