Ralfs Berzinskis Der verwunschene Mond textum theatralis Übertragung aus dem Lettischen
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Chor der Stimmen · Auf daß du, in ewigen Irrungen lebend, die Wahrheit suchest.
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eine Stimme · Und wer keinen Traum hat, nach dem er strebt, der ist gestorben. Für die Toten gibt es keinen Platz unter den Lebenden. die Klosterwände · Verzweiflung läßt die Welt sich regen. Der Tod ist immer glücklich. der Mond (für sich) · Ich habe den Tod erreicht. Ich habe meinen Traum verwirklicht. Aber ich lebe. Der Traum setzt sich fort. Ich will in der Welt leben, in der ich leben will. der Steinfußboden · Du wirst immer in einer Welt leben, die du erschaffst. Wenn du diese Welt nicht selbst erschaffst, wird dies ein anderer an deiner Stelle tun. Doch dann wird es nicht mehr deine Welt sein. Sie zwingt dich, deinen Traum zu verlassen. der Gekreuzigte · Mein Reich ist nicht von dieser Welt. der eine Mönch · Du wirst immer allein sein, und wenn jemand bei dir ist, so wird es dein Traum sein. Alle Dinge, die du besitzt, werden dich verlassen. Alle Mädchen, die du berührst, werden dich verlassen. Wenn jemand bei dir ist, so wird er nur eine Zeitlang bei dir sein. Auch dein Traum wird nur eine Zeitlang bei dir sein. Weshalb setzt du dir kein Ziel? der Mond · Es würde mir manche Möglichkeit nehmen. Es würde mir die Empfindsamkeit nehmen. Ich werde einfach den Weg gehen. der andere Mond · Im Folgenden wird nicht darauf hingewiesen, was Leben ist und was Traum, denn das Leben setzt sich in den Träumen des Mondes fort, und die Träume setzen sich im Leben des Mondes fort. Sie unterscheiden sich nicht voneinander. Ich habe den Mond erschaffen, um in Träumen zu leben; er wird sie alle zusammenhalten. Ich lebe mit ihm, und er lebt mit mir. Ich bin der Mond, und der Mond, das bin ich. Von dem Berg, auf dem das Kloster steht, spaltet sich ein Stein ab. Er fällt, und während seines Fallens prallt er mehrmals gegen den Berg; schließlich fällt er in einen trüben Fluß. der andere Mond · Der Stein ist gefallen. Jetzt steckt er im Schlick auf dem Grund des Flusses. Innerlich jedoch fährt er fort zu fallen. Für alle Zeiten. der Mond · Die gegenwärtigen Vorstellungen müssen zerbrochen und eine neue Wirklichkeit entdeckt werden. der andere Mond · Der Mond muß in eine andere Welt eintreten. In eine Welt, der er anzugehören beginnt. Die Tür des Klosters öffnet sich mit einem Geräusch, das darauf schließen läßt, daß sie noch niemals geöffnet worden ist. Die Sonne scheint herein, grünes Gras und ein steiniger Weg sind zu sehen. Der Mond atmet die frische Bergluft ein, doch er zögert hinauszutreten. der andere Mond · Er hat Angst, den ersten Schritt zu tun. Die Wände des Klosters sind warm und behaglich. Hier gibt es Staub, der so gewohnt ist. Die äußere Welt wirkt bedrohlich. das Mädchen · Du bist doch schon aufgebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du hierbleiben könntest. Du hast dich von deinem alten Leben losgesagt. Es wäre Heuchelei, zu bleiben. Der Mond bleibt stehen. Er wirkt ein wenig verärgert. der Mond · Was erlaubt sie sich, so etwas zu sagen! Und doch hat sie recht. Mehr als recht. Und auf das Recht kann man nicht böse sein. Er macht den ersten Schritt. der Weg · Die Welt wird stets größer sein, als du dir vorgestellt hast. [...] 1993 - 1995 |
Originaltitel: Noburtais mçness |