Mâris Èaklais
Drei Männer aus Vulgärien
Märchen
Verehrte Pressevertreter, Künstler und weiße Mäuse, unsterbliche Freunde der sterblichen Kunst!
Leider, den Bestrebungen der Gegner eines Neuen Europa zum Vorteil, aber unserer kleinen, leidgeprüften Heimat, in der es bislang doch so gut wie gar keine Kunst gegeben hat, zum Schaden, hat es sich nun so ergeben, daß die Haupthelden unseres Märchens unterwegs aufgehalten wurden und zu unserer internationalen Zusammenkunft noch nicht eingetroffen sind.
Daher dürften wir dieses Märchen eigentlich gar nicht beginnen. Und dennoch: lassen Sie uns beginnen.
Es war einmal vor noch gar nicht langer Zeit in Vulgärien. Vulgärien ist ein Land des Weines und der Berge. Die Kerle trinken den Branntwein, und die Frauen spielen die Berge. Wenn sie sich neben ihre Männer legen, erheben sich vier Gipfel gen Himmel – eine Zitze, die andere Zitze, Bauch und Nasenspitze ’, an denen Alpinisten Halt finden können.
Und als auch die vulgärischen Künstler endlich frei durchatmen konnten, weil sie sich vom Sozialismus befreit hatten, der, genau genommen, nie eingetreten ist, atmeten sie durch und begannen darüber nachzudenken, was sie nun anstellen sollten. Irgend etwas, das es noch nicht gegeben hat!
Aber was wird man sich schon Neues ausdenken auf dieser Welt!
Hat man im Louvre aus einem Mann eine Frau gemacht? Hat man – und ihn Lisa genannt, bitteschön.
Hat man in Deutschland einen Reichstag gebaut? Hat man. Und ihn abgebrannt? Ebenfalls. Und danach nicht nur wieder aufgebaut, sondern sogar auf künstlerische Art gänzlich eingewickelt – für zwei Millionen Mark, Dollar oder sonst einen Rubel.
Die vulgärischen Künstler verstanden recht bald, daß sie zu spät geboren waren, und wie es Künstler bei solchen Gelegenheiten zu tun pflegen: sie fingen an zu trinken. Tranken einen Tag, einen weiteren und noch einen, vertranken ihre Bilder und die Geschenke von Freunden, vertranken unnützes Zeug, vertranken die Ringe an Fingern und Ohren.
Einst, als alle drei im Atelier in verkatertem Halbschlaf zuckten, bemerkte der jüngste von ihnen, wie ein weißes Mäuschen auf dem Fußboden zwischen den Farbklecksen umherhuschte.
Er rief das Mäuschen, und gehorsam hüpfte es ins Bett, aber als es den Dunst geschnuppert hatte, stürzte es quer über die weiße Hemdbrust, die einmal weiß gewesen war, von dannen.
„He, was für ein gekonntes Getrippel!“ rief der zweite Künstler aus und fing an, nach dem weißen Mäuschen zu haschen.
Da sie zu dritt waren und alle ungefähr im gleichen Stadium, so waren es auch drei Mäuschen, die erschienen. Nachdem sie eine weitere Flasche geleert hatten, bemerkten unsere Helden, daß sich schon eine recht ansehnliche Schar von Mäuschen versammelt hatte.
Nun aber tauchten die Meisterkünstler die bebenden Pfötchen in die Farbtöpfe, und die armen Mäuschen – bald blau, bald grün, bald rot – flitzten über die weiße Leinwand.
Fort ließ sie niemand, und das war denn auch die zweite Hauptaufgabe der Künstler. Ja, das war einmal eine Kunst, vor der man sich nie und nirgends verstecken konnte. Und zwar niemand!
So entstanden die „Installation mit zwei Haaren und sieben Knödeln“, die „Treppe der halbbesudelten Träume“ und „Stummes Schicksalslotto in Betonsoße“.
Das Trio empfand die Bedeutsamkeit des Geschehens und spazierte vor seinen geistigen Augen schon durch die neue Gemeinschaftsausstellung, wo alle einander begrüßen, sich dann den Objekten zuwenden, wenn es welche gibt, zurücktreten, sich einem Farbtupfer nähern, um sich wieder zu entfernen und in dem spendablen Strom von Professionalität der anderen, ebensolcher Feinschmecker zu schwimmen. Sobald die Mäuschen jedoch ihr Werk verrichtet hatten, wurden sie zum Fenster hinausgeworfen.
Und wieder wurde für neue Mäuschen gesorgt. Bald hatten die drei Vulgärier sämtliche Zoogeschäfte leergekauft, die Tierfarmen beschäftigten sich ausschließlich mit Mäusezucht, und bei den Vulgäriern lief es ausgezeichnet.
Sie veranstalteten Aktionen in Parks und Ausstellungen in Banken, und kein Geschäftsmann oder rechter Händler mußte mehr sonderlich überredet werden – sie begriffen es, daß ohne diese Kunst nun schlichtweg gar nichts mehr zu machen war. [→ Weiterlesen ...]
1995
Deutsch von Matthias Knoll
Lettischer Originaltitel: Trîs vîri no Vulgârijas
Aus: Divi dzîvi zaldâtiòi un citas pasakas [Riga: Likteòstâsti, 1996]
© der deutschen Übersetzung M. Knoll
Erschienen in: lettische literatur #2 Gesamtumfang: 9.425 Zeichen | Umfang der Leseprobe: 4.253 Zeichen
Frei zur vertraglich geregelten Verwertung
www.literatur.lv
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