Schlägt die Hacken zusammen, ab.
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Holtei | Nun sieh dir an, was in Rußland von einem richtigen Deutschen übrigbleibt. Bloß gut, daß ich noch nicht so lange hier lebe. Das ist doch ein Nervenbündel, kein Offizier. Kleinlich und beschränkt. Ein erbärmliches Mannsbild. Trotz der Stiefel.
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Jardin | An dem Mann fehlt es an nichts.
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Holtei | Kein Geistesflug, keine Vision...
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Jardin | Aber deine Pfeffersackweiber flattern durch die Gegend wie die Libellen.
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Holtei | lacht Die Weiber müssen auf dem Boden bleiben!
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Jardin | Voila Wagner ist ein einziger Höhenflug.
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Holtei | Aber dir hat er auch einmal gefallen...
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Jardin | Als Mann...
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Holtei | Kannst du den Körper etwa trennen von seiner ewigen Unzufriedenheit, den hysterischen Anfällen und der ewigen Schwarzmalerei?
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Jardin | Warum gehen immer die besten fort? Pardon, bitte mach’ dich nicht lustig über mich. Warum nur beschließt das Schicksal, daß ausgerechnet du fortgehen mußt?
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Holtei | Damit ich hier nicht zusammen mit dir verfaule.
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Jardin | Hättest du bloß die Finger von der Gouverneurstochter gelassen, dann wäre nichts passiert, und du könntest so lange in Riga bleiben, wie du willst. Das war einfach ein dummer Unfall...
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Holtei | Und Gott sei Dank, daß es solche Unfälle gibt! Dann fühlt man erst, daß man lebt! Nun, kannst du den Schritt noch? Mach’ nicht so eine saure Miene!
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Holtei | Und-eins-und-zwei, eins-und-zwei...
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Möller | deklamiert singend aus den Kulissen
Was Schiller, Goethe, Lessing hehr ersonnen,
von deinen Lippen soll es klingend strömen!
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Holtei | Zwar ist der genialische Wagner nicht hier, aber auch ich freue mich, dich zu sehen, Abraham! Er lacht und umarmt Möller. Wann bist du angekommen?
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Möller | Heute morgen. Um dich zu begleiten.
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Holtei | Psst, nicht so laut! Niemand weiß davon... Aber woher weißt du es?
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Möller | ruft Heinrich! Heinrich!
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Holtei | zu Dorn Hast du dich versteckt?
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Möller | Das hat er.
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Holtei | Aber warum? Vor wem denn?
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Dorn | Unsinn! Ich bin lediglich bei dir oben gewesen, ich nahm an, du seist in deiner Wohnung.
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Holtei | zu Möller Aber du bist doch nicht meinetwegen angereist!
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Möller | Ich lechze danach, den Widrigkeiten des Daseins zu entrinnen!
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Holtei | lacht Wagner wird dir seine eigenen noch dazu aufbürden!
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Holtei | Kannst du bis zum Abend bleiben?
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Möller | Ich habe sämtliche Mandanten in Königsberg zurückgelassen und bin frei wie ein Vogel.
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Holtei | Ein Vogel, der sogleich, wie mir scheint, Selbstmord begehen wird! Er lacht. Wir haben heute abend eine nette kleine Zusammenkunft. Du kommst genau richtig! Kann ich mit dir rechnen?
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Möller | Habe ich etwa schon eine schwere Zunge?
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Dorn | zu Möller In der Tat, Abraham, es ist noch lange bis zum Abend.
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Möller | scharf Und die Sonne steht noch hoch am Himmel! zu Holtei Was treibt ihr hier eigentlich?
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Holtei | Führen Sie es uns vor, Monsieur Jardin?
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Jardin | Ich bin noch nicht ganz sicher...
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Holtei | Ich bitte Sie, wir sind doch unter uns.
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Jardin | Also, ich weiß nicht...
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Möller | Wenn wir Sie doch bitten!
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Dorn | zu Möller Wir müssen gehen...
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Möller | Also, Monsieur Jardin, was werden Sie uns zeigen?
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Holtei | Das, was zur Zeit Paris im Sturm erobert. Ein Damentanz, sozusagen... Zu Jardin Bitte: und-eins-und-zwei, eins-und-zwei...
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Möller | Was ist das?
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Holtei | Der Cancan.
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Dorn | Und so wird in Paris in aller Öffentlichkeit getanzt?
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Holtei | Fast in aller Öffentlichkeit...
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Möller | Und diese Damen dort tanzen in Röcken?
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Holtei | lacht Sie haben ein Höschen darunter an.
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Möller | Das ist eine Revolution, Herrschaften! Eine zweite französische Revolution!
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Jardin | hält unvermittelt inne Wagen Sie nicht, sich lustig zu machen, meine Herren!
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Möller | Der Tanz ist gut, wirklich gut...
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Jardin | Führen Sie den Namen der Revolution nicht an unpassender Stelle im Munde! Dazu haben Sie kein Recht, Sie sind noch viel zu jung!
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Möller | Verzeihen Sie...
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Holtei | lacht, zu Jardin über Möller Gib’s ihm, dem Lümmel!
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Jardin | zu Holtei Da gibt es überhaupt nichts zu lachen!
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Holtei | Verzeih mir...
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Dorn | zu Möller Wir müssen gehen!
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Möller | Wir müssen laufen! Er schenkt sich nach und trinkt betont langsam.
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Holtei | Höre auf Heinrich, Abraham! Er wird weit kommen, glaub’ mir!
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Dorn | Schluß jetzt!
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Holtei | Das glaube ich wirklich, und außerdem: ist das etwa schlecht?
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Dorn | Du weißt, daß ich fröhliche Menschen mag, aber der Spaß hat auch Grenzen.
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Holtei | Und trotzdem wirst du weit kommen.
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Dorn | Du weißt sehr gut, daß mich das nicht interessiert! Mir reicht, was ich bin. Und das ist nicht wenig für mein Alter.
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Holtei | Und heute abend wirst du sterben, nicht wahr, eine Zukunft hast du nicht!
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Dorn | zu Möller Gehen wir!
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Holtei | Ich sehe zum ersten Mal, daß du eine so faltige Stirn hast.
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Dorn | Du weißt nur allzu gut, daß ich im Augenblick eine mehr als zweifelhafte Rolle spiele.
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Holtei | Aber du hast dich entschlossen, sie heldenmütig durchzustehen.
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Dorn | Und das werde ich auch! Mag der eine sich auch über mich lustig machen und der andere ein Jauchefaß über meinem Haupt ausleeren ich werde sie durchhalten! Denn ich weiß, weshalb ich sie auf mich genommen habe! Und auch du weißt, daß es für Richard so am besten ist! Wenn man ihm überhaupt noch helfen kann, dann nur so! Richard tut mir leid! Du weißt es, und ich weiß es, und...
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Möller | ... und ich muß es wissen...
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Holtei | Bist du Heinrich zu Hilfe geeilt, um den Orkan zu besänftigen, wie man so schön sagt?
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Möller | Nein...
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Dorn | Ja, er ist gekommen! Denn dir wird das alles kein Kopfzerbrechen mehr bereiten, dort in Paris... Er trällert ein paar Takte und imitiert die Cancan-Schritte. Aber wir müssen hierbleiben!
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Holtei | Gerade eben lief noch so einer hier herum wie eine gesengte Sau. Du könntest zusammen mit dem neuen Direktor zu Richard gehen.
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Dorn | Genau das werde ich auch tun! Wir werden Richard alles erzählen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen!
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Holtei | Das willst du auf dich nehmen?
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Dorn | Sicher. Da brauche ich nichts auf mich zu nehmen, ich werde es einfach tun, denn ich muß es tun. Grins’ nicht so!
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Holtei | Ich freue mich, daß ich die rechte Wahl getroffen habe.
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Dorn | Gratuliere!
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Möller | Was ist denn los mit dir? Ich fahre sofort zurück! Wenn hier wirklich alles koscher wäre, dann würdest du nicht so schreien.
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Dorn | ruhig, nach einer Pause Auf Wiedersehen! Grüß mir Königsberg.
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Holtei | zu Möller Ei, ei! Es ist wirklich gar nicht einfach. Was habt ihr zwei denn ausgeheckt? Nein, sag’ es nicht! Das ist nicht wichtig, es muß einfach nur getan werden. Heinrich ist ein Prachtkerl, glaub’ mir. Bis heute abend, Abraham!
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Jardin | Der Junge tut mir leid...
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Holtei | rasch Also, packen wir unsere Sachen? Paris wartet auf uns, Alter! Was hast du?
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Jardin | Du bist... grausam. Der Spaß hat seine Grenzen...
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Holtei | Verzeih mir. Mir geht es so schlecht...
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Jardin | Warum, Karl, warum?
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Holtei | Guten Morgen, Herr Wagner.
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Wagner | Guten Morgen.
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Holtei | Verzeihen Sie, ihre...
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Holtei | Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie die Blechbläser entlassen haben? Eigentlich sollte der Direktor des Theaters so etwas wissen.
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Wagner | Sind Sie erpicht auf eine der vakanten Stellen? Ich habe noch niemanden verpflichtet.
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Holtei | lacht Du gehst ein bißchen zu weit, oder?
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Wagner | Zumindest die Musiker unterstehen mir, oder irre ich?
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Holtei | Was immer du auch sagst, deine Worte sind Musik in meinen Ohren.
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Wagner | Verzeihung ich habe zu arbeiten.
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Holtei | Darf ich Sie und ihre Frau Gemahlin zu einer, wie man so schön sagt, gastlichen Zusammenkunft im trauen Kreise einladen? Heute abend, an dieser Stelle?
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Wagner | Die Einladung kommt zu spät.
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Holtei | Schade. Es wird lustig werden.
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Wagner | Daran wage ich keinen Augenblick lang zu zweifeln.
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Holtei | Früher wärst du gekommen.
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Wagner | Früher war ich ein Dummkopf.
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Holtei | lacht Verzeihen Sie, Herr Wagner. Monsieur Jardin, die Probe ist beendet.
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Wagner | Einen Augenblick noch, Herr Direktor!
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Holtei | Ja, Herr Kapellmeister?
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Wagner | Bereits unzählige Male habe ich Monsieur Jardin gebeten, das Theater oder zumindest die Bühne nicht in diesen Hosen zu betreten. Das ist inakzeptabel, und Sie wissen genau, weshalb!
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Holtei | Monsieur Jardin, ziehen Sie auf der Stelle diese Hosen aus!
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Jardin | Auf der Stelle... ?
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Wagner | Schluß damit! Monsieur Jardin, lassen Sie mich bitte mit dem Herrn Direktor allein!
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Jardin | Und die Hosen nicht ausziehen?
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Holtei | Gehen Sie, gehen Sie.
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Wagner | Ich hasse dich, Karl! So offen hat noch niemand mit dir gesprochen, was?!
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Holtei | Nein.
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Wagner | Und ich werde dir auch sagen, warum ich dich hasse!
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Holtei | Ich weiß es.
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Wagner | Du kannst es nicht wissen...
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Holtei | lacht Ich weiß es. Bis heute abend. Ab.
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Wagner | ruft ihm nach einem Augenblick nach Ich werde nicht kommen!
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Wagner | in den Kulissen Was machen Sie da?! Ich kann Sie sehen, es hat gar keinen Zweck, sich zu verstecken!
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Wagner | Haben Sie die ganze Zeit da gestanden?
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Karlowitz | Nein, ich bin soeben hereingekommen! Ich schwöre es Ihnen!... Ich werde sofort gehen!... Das heißt, ich werde nicht gehen... Ich weiß, Herr Kapellmeister, ich darf meinen Fuß nicht mehr hierhersetzen, ich weiß. Und ich pflichte Ihnen vollkommen bei. Sie haben tausendfach recht, vollkommen recht. Wir... ich bin dieser Bühne, dieses Saales nicht würdig... Bitte, drücken Sie doch nicht so fest!...
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Karlowitz | Ich verstehe, daß das hier kein Tanzboden mit Feuerwehrkapelle ist, Herr Kapellmeister, das hier ist Theater, ist wahre Musik, ein heiliger Ort. Glauben Sie mir: ich pflichte Ihnen vollkommen bei! Nur konnte ich Ihnen das nicht mehr sagen, weil Sie uns nicht mehr zu Wort kommen ließen... Aber ich will der wahren Musik näherkommen, das wünsche ich mir von ganzem Herzen, und ich habe den festen Glauben, daß Sie mir helfen werden, daß Sie mir aufzeigen, was ich zu tun habe, und wie... Ich will ein Künstler sein, kein Bläser. Glauben Sie mir, ich kann nicht mehr zurück zu den Feuerwehrleuten, ich halte es nicht mehr aus, dieses... Er bläst ein paar Marschtakte.
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Wagner | Hören Sie auf!
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Karlowitz | Verzeihen Sie!
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Wagner | Packen Sie lieber mit an!
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Karlowitz | Ja, ich begreife, daß ich Ihre Verachtung verdiene... Verzeihen Sie, Herr Kapellmeister. Er wendet sich zum Gehen.
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Wagner | Setzen Sie sich.
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Karlowitz | impulsiv Wohin?
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Wagner | Auf Ihren Daumen!
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Karlowitz | Verzeihen Sie. Einen Augenblick!
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Wagner | Wollen Sie singen?
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Karlowitz | Ach, ich Tölpel!
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Wagner | Spielen Sie das.
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Karlowitz | Welch schöne Musik! Ist das von Ihnen?
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Wagner | Nein, vorläufig ist es von Ihnen!
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Karlowitz | Verzeihung. Ich probiere es nochmal.
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Karlowitz | Ich kann es versuchen... Nein, ich kann es nicht...
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Karlowitz | Nein, Herr Kapellmeister, nein!
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Karlowitz | Vielleicht sollte ich ein anderes Instrument nehmen, Herr Kapellmeister, vielleicht schaffe ich es dann?
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Wagner | Wo rennen Sie hin?
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Karlowitz | Ich werde es nie schaffen, nie... Adieu!
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Wagner | Machen Sie keine Faxen.
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Karlowitz | Ich war... ich hatte mich fest entschlossen... ich weiß, es gibt keinen anderen Weg...
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Wagner | Kommen Sie zurück!
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Karlowitz | Sie haben recht, dies ist ein Tempel. Ich habe hier nichts zu suchen. Ich bin ein Bläser, mehr nicht. Außerdem habe ich einen kurzen Atem. So lassen Sie mich doch!
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Wagner | Ich will Ihnen doch helfen!
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Karlowitz | Mir ist nicht mehr zu helfen! Lassen Sie mich!
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Wagner | Bitte, gehen Sie! Sie sind so oder so nicht fähig, sich etwas anzutun! Leeres Geschwätz! Sie sind nicht von dieser Sorte!
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Karlowitz | nach einer Pause, entschlossen Das bin ich wohl. Ich kann es. Ab.
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Meck | leise Amalia!... Wagner!...
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Wagner | ... wir könnten es in der Tat mit einem anderen Instrument versuchen... Vielleicht mit der Pauke? [...]
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