Margarita Perveòecka
Ceron und die Dermatothek
Erzählung
In der Dunkelheit dröhnt eine Glocke über den Schädel. Das Licht geht an ein riesiges, sich über die gesamte Fläche der Zimmerdecke erstreckendes Zifferblatt über dem Kopf zeigt 3 Uhr nachts. Aus dem Bett erheben sich 2 menschengroße Katzen, die eine im Pyjama, die andere im Nachthemd. Beide gehen auf den Pfotenfüßen. Katze P. die im Pyjama geht in die Küche, durchwühlt den Kühlschrank, holt ein paar Orangen und silbrigglänzende, fischartige Filets heraus, legt sie auf 3 Teller, füllt 3 Gläser mit einer kefirartigen, dicken Flüssigkeit und geht ins Badezimmer, aus dem die nackte, knochige und bläulichschwarze Katze N. mit dem unter den Arm geklemmten Nachthemd kommt und in die Garderobe geht, wo sie Unterhemd, Oberhemd, Weste, Jacket und über das alles einen Overall aus Gummi anzieht, dann in entsprechender Reihenfolge die entsprechenden Hosen und ebenfalls einen Overall darüber. Die Katze im Bade¬zimmer öffnet den Wasserhahn und knöpft den Pyjama auf; zum Vorschein kommen ihre in hell- und dunkelbraunen Sprenkeln und Wasserspritzern schillernde samtige, pelzlose Haut mit 8 Zitzen in 2 Reihen, die wie Gewürzsäckchen auf dem Bauch baumeln. Einen in die Badewanne gefallenen krummen Trolleybus voller Flöhe hinter den hermetisch versiegelten Fenstern trocknet Katze P. mit dem Handtuch ab und legt ihn zum Trocknen auf die Heizung, von der sie 4 Büstenhalter nimmt und anlegt.
Das riesige Zifferblatt an der Decke erdröhnt abermals. In der Küche lecken Katze N. (die im Nachthemd) und eine kleinere Katze K. (von der Größe eines 6jährigen Menschen) die Filets. Katze P. kommt ebenfalls in die Küche, und sie frühstücken zu dritt. Danach wäscht Katze N. das Geschirr ab, Katze K. geht sich waschen und anziehen; dann sortieren die beiden großen Katzen irgendwelche Kärtchen zu mehreren Haufen und legen diese in 4 Schächtelchen. Als alles fertig ist und alle in den Overalls bereit sind, ziehen die Katzen jeweils ein Paar runder Gummischuhe an, löschen das Licht und gehen zur 4. Zimmertür hinaus.
Der trockene und schroffe Fick eines langen und spitzen Schlüssels in ein rostiges Schloß bohrt sich in der Dunkelheit durch den Körper.
Im Hutfach der Garderobe, über den Wintermänteln, kommt ein 20jähriger, nackter männlicher Mensch von der Größe einer stattlichen Katze aus einer Filzhütte gekrochen. Das ist Ceron. Neben der Hütte befindet sich ein spezielles Stehsolarium für seine Körpergröße, das sich einschaltet, sobald Ceron es betritt. Auf dem Rücken hat er eine Narbe, die schrumpelig ist wie angesengtes Plastik. Nachdem er bestrahlt ist, klettert er über ein Regencape hinunter und geht um die Ecke in die Küche zu seinem Geschirr auf dem Boden. In der einen Schüssel ist Wasser, in der anderen eine Baranka . In die Wasserschüssel taucht er Hände und Füße, trinkt ein wenig, taucht die Baranka ein und läuft daran knabbernd in der Küche herum. Er klettert auf den Tisch neben der Spüle, in die er hineinsteigt und am Abwaschschwamm schnuppert, auf dem noch ein Fitzelchen Filet glänzt. Ceron lutscht den Abwaschschwamm aus, leckt die Spüle aus und geht ins Wohnzimmer.
Am Vorhang klettert er aufs Fensterbrett empor und drückt die Nase gegen das Fenster mit Blick zum Hof.
Im Hof wächst ein Baum, dessen Rinde identisch ist mit der Hautfaktur eines weißen Menschen. Der Baum gemahnt an ein menschliches Bein mit den Fettwülsten eines pummeligen Knies und einem Meniskusbuckel, aus dem lange, schweißige Haare herauswachsen.
Nachdem Ceron ihn lange betrachtet hat, macht er sich ans Waschen er leckt sich überall dort, wohin und wie weit er gelangt, bis sein Geschlechtsorgan schleimig und steif wird und gegen die Fensterscheibe stößt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes sieht er aus einem Schuppen einen katzengroßen nackten und schmutzigen weiblichen Menschen kommen. Die Pennerin geht zum Baum und wetzt mit herausgestrecktem Hinterteil ihre Nägel an der Rinde. Aus der Rinde beginnt blutfarbener Saft zu sickern. Die Pennerin leckt ihn gierig ab. Aus dem Schuppen kommt ein katzengroßer nackter männlicher Mensch und geht hinter ihr in Stellung; die beiden schreien und bumsen. Abermals kommt jemand aus dem Schuppen: eine menschengroße Katze, die auf den Pfotenfüßen läuft der Hauswart. In der einen Pfotenhand hält er 4 rattengroße Menschenpennerkinder an der Kehle gepackt. Eines von ihnen gleicht Ceron: es ist weiß mit zimtfarbenem, gelocktem Haar. Im Haus hinter der Fensterscheibe versteckt Ceron sich in den Falten des Vorhangs. Die Pennerin stürzt sich auf den Hauswart, der sie mit einer Harke quer über den Hof schleudert, der Penner klettert auf den Baum bis auf Höhe von dessen Knie und gafft durch die Baumhaare. Der Hauswart trägt die an den Hälsen zu einem Bündel zusammengeschnürten Kinder zum Hof hinaus und wirft sie auf einen dort wartenden Lastwagen, der kurz darauf wegfährt.
Ceron beschließt, den Vorhang noch weiter emporzuklettern; in einem Regal längs der Wände des gesamten Zimmers sind Vasen, Töpfe und Gefäße mit verschiedenfarbigen Substanzen aufgereiht. Ceron läuft vorsichtig an den Gefäßen entlang und schaut in die Vasen und Töpfe. Als er die Zimmerecke erreicht hat, fällt ein grellvioletter Lichtkegel durch das Fenster auf die Glaserzeugnisse und eröffnet Cerons Blick Dutzende von Korridoren; er kann so etwas wie Rahmen in dem einen Korridor erkennen und in einem anderen bunte Lumpen, aus dem dritten kommen Dampf und der Geruch von kaltem Brand.
Der Lichtkegel erlischt, und die Korridore verschwinden. Der überraschte Ceron spritzt eine Ladung in die erstbeste Vase, dann beugt er sich dicht heran und betrachtet die Gefäße, wirft einen Blick in andere Vasen und Töpfe, aber da nichts mehr zu sehen ist, setzt er sich hin um zu warten, bis die Korridore sich wieder auftun. Während er wartet, schläft er ein.
[...]
2007
Aus dem Lettischen von Matthias Knoll
Lettischer Originaltitel: Cerons un dermatotçka
Erschienen in: Kultûras Diena Nr. 49/2007 vom 21. 12. 2007, S. 12/13
© M. Perveòecka
© der deutschen Übersetzung M. Knoll
Gesamtumfang: 23.400 Zeichen, frei zur vertraglich geregelten Verwertung
Umfang der Leseprobe: 6.000 Zeichen
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