Mâra Zâlîte

Grundsteuer

Stück in zwei Aufzügen



Personen:

Senta (alt und unbeweglich)
Hermann (alt und beweglich)




Leseprobe: 1. Aufzug, 4. Szene

Senta Deckelchen! Du kannst wieder rauskommen! Brauchst dich nicht mehr verstecken. Bist du erschrocken? Nicht zittern, mein Kleiner... Hier ist frische Milch... Forelle gibt es nicht, verzeih’ mir, mein Liebling, verzeih’ mir. Nun komm!  (Es ist zu hören, daß Hermann zurückkommt.)  Schnell! Lauf’ weg! Er kommt zurück! Das Ungeheuer kommt zurück. Versteck’ dich! Fliehe! Flieh’!
Hermann (tritt ein)  Du hast mich blutig gekratzt. Ich muß die Wunde desinfizieren. Siehst du, es blutet.
Senta Im Büfett ist Wasserstoffsuperoxyd.
Hermann Und das Herz blutet mir auch.
Senta Da muß auch Heftpflaster sein.
Hermann Sonst hast du nichts?
Senta Was willst du denn noch?
Hermann Jedenfalls kein Wasserstoffsuperoxyd! Früher gab es hier eine ganze Batterie... Cognac, Vinjak, Armagnac... Und diese DDR-Likörchen gab es hier früher auch...
Senta Früher, früher! Früher waren Adam und Eva im Paradies.
Hermann Du hast wirklich nichts für die geschundenen Nerven und das blutende Herz eines Menschen auf Vorrat, Senta?  (Er zieht eine Flasche aus dem Hemd)  Na, dann muß ich halt hiermit Vorlieb nehmen.
Senta Was ist das?
Hermann Kwaß ist das.
Senta Kwaß! Fusel ist das, was denn sonst.
Hermann Dafür billig. Fünfzig Santîm.
Senta Das sind genau die fünfzig Santîm, um die du mich immer beschummelst.
Hermann Hör’ mal, Senta, mit diesem Paradies...
Senta Was für ein Paradies?
Hermann Du hast doch eben vom Paradies gesprochen.
Senta Davo kasch Du nu troma! Da wirst du nicht reingelassen.
Hermann Und wenn ich mit dem Rauchen aufhöre? Nein, lach’ nicht. Rauchen gilt heutzutage als die größte Sünde überhaupt. Du kannst rauben und stehlen und Steuern hinterziehen – macht alles nichts. Aber wenn du da, wo es verboten ist, eine rauchst, ich sag’ dir, Senta...
Senta Ich?!
Hermann Ich meine im allgemeinen. Du rauchst eine, wo es verboten ist – sofort fallen sie über dich her!
Senta Hier ist es auch verboten.
Hermann tut, als hätte er nichts gehört, zieht an seiner Zigarette und trinkt einen Schluck aus der Flasche.
Hermann Was meinst du, was einem da alles angekreidet wird?
Senta Wie – angekreidet?
Hermann Na, im Paradies. Auf der Schlußabrechnung. Werden einem die Jahre im Gulag angekreidet? Und die russische Okkupation – wird einem die auch angekreidet?
Senta Woher soll ich das wissen?
Hermann Wenn sie einem die Okkupationsjahre auch ankreiden...
Senta Wer – sie?
Hermann ... dann ist das ungerecht. Das sind trotz alledem vom Menschen unabhängige Umstände. Wenn sie einem die Okkupationsjahre ankreiden, dann ist das ungerecht.
Senta Trink’ nur noch mehr von diesem Fusel...
Hermann Weißt du, Senta, es kommt mir immer mehr so vor, daß dieses Paradies wie leergefegt sein muß. Seit Adam und Eva. Und weißt du, ich glaube, daß dieses Paradies schon eine Wüste geworden sein muß. Wenn da keiner ist, der die Bäumchen gießt und das Gras mäht... Ein Garten braucht doch Pflege. Warum sollte der Garten Eden da eine Ausnahme sein? Nein, dieser Fliederbusch muß endlich abgesägt werden! Der Garten braucht Pflege!
Senta Den Flieder rührst du nicht an. Betrink’ dich nicht, Hermann, bitte...
Hermann In diesem Paradies gibt es vielleicht schon längst eine ökologische Katastrophe, aber wir träumen munter weiter – das Paradies, das Paradies...
Senta Mir steht dein Säufergerede bis hier! Schluß jetzt! Mehr wird nicht getrunken! Sonst siehst du dir die Sendung nicht an! Du brauchst einen klaren Kopf. Ich mache mir solche Sorgen um Alvarez! Er schwebt in großer Gefahr! Genug jetzt!
Hermann Alvarez wird nichts geschehen.
Senta Woher willst du das wissen?
Hermann Ich weiß es.
Senta Wann machst du mir den Fernseher ganz?
Hermann Ich glaube, da ist ein Ersatzteil nötig. Ich werde es besorgen. Ich werde dir diesen Fernseher ganzmachen, Senta. Was ich verspreche, das halte ich auch. Aber das kostet fünf Lat. Damit mußt du rechnen. Ich muß die Grundsteuer bezahlen. Der Bruder kann jeden Tag eintreffen. Alles muß in Ordnung sein.
Senta Ach Gott... Ich muß die Katze füttern. Und Vitamine kaufen. Die Schnurrbarthaare fangen an auszufallen. Die Tollwutimpfung kostet auch Geld.
Hermann Das ist nun aber wirklich überflüssig! Wozu braucht sie eine Tollwutimpfung, wenn sie doch nur im Zimmer rumlungert? Senta?
Senta Ja?
Hermann Du hast doch nicht etwa vor, sie zu beißen, oder? Ha ha ha!
Senta Du Affe! Eine Katze muß man versorgen, wie es sich gehört. Ein lebendiges Wesen. Siehst du, hier ist der Impfpaß. Hast du so einen? Hast du nicht. Und du wirst auch nie einen haben. Aber mein Kätzchen, das hat einen!
Hermann Bei dir dreht sich alles immer nur um diese Katze. Aber ich bin auch ein Mensch, Senta.
Senta Das ist ja der Fehler, daß du ein Mensch bist. Katzen sind hundertmal besser als Menschen. Rauchen Katzen? Trinken Katzen Schnaps?
Hermann Ich könnte aufhören.
Senta Ab in dein Zimmer!
Hermann Ich könnte deine Katze sein. Tu so, als wäre ich eine Katze, Senta. Deine Katze... Senta...
Senta Deckelchen, Deckelchen...
Hermann Ruf’ mich auch so. Ruf’ mich!
Senta Du bist betrunken...
Hermann Deckelchen, Deckelchen... Früher hast du mich doch so genannt.
Senta Nie im Leben!
Hermann Du hast es vergessen. Du hast mich so genannt. Deckelchen, Deckelchen...
Senta Ach du meine Güte! Du mußt gehen. Es fängt gleich an! Los, mach’, daß du auf die Beine kommst! Und hinterher erzählst du mir alles! Flor wäre wirklich dumm, wenn sie...
Hermann Was?
Senta Flor wäre wirklich dumm, wenn sie sich mit Rinaldo einlassen würde. Alvarez, das ist doch ein ganz anderes Kaliber! Heute abend wird es sich entscheiden! Nun geh’ schon, Hermilein! Sonst verpaßt du den Anfang.
Hermann Flor ist ein richtiges Flittchen!
Senta Flor ist ein anständiges Mädchen!
Hermann Das letzte Flittchen ist sie!
Senta So ein Unsinn! Flor! So rein, so besonnen...
Hermann Das letzte Flittchen!
Senta Na schön, na schön. Nur geh’ jetzt, ich bitte dich, und setz’ dich vor deinen Fernseher! Ein zusätzlicher Lat ist doch immer eine feine Sache, oder, Hermilein?
Hermann Für einen einzigen Lat muß ich mich derart abquälen. Für einen einzigen Lat...  (Er verläßt das Zimmer.)
Senta Den Kopfhörer hat er aufgesetzt, dieser Satan, damit ich nichts höre. Nicht einmal zuhören darf ich! Deckelchen, Deckelchen! Wo bist du, Liebling? Komm her zu mir. Braves Kätzchen, liebes Kätzchen...

2002
Aus dem Lettischen von Matthias Knoll


Lettischer Originaltitel: Zemes nodoklis. Luga 2 cçlienos
Lettische Erstaufführung: Latvijas Dailes teâtris, Riga
(Premiere: Oktober 2003, Regie: Juris Strenga)
© M. Zâlîte

© der deutschen Übersetzung M. Knoll
Anmerkung: Die Phrasen der Senta im lettgallischen Dialekt
wurden in der deutschen Übersetzung in alemannischem Dialekt wiedergegeben.
Die Übersetzung wurde privat gefördert.
Deutschsprachige Erstaufführung am 13. 9. 2007 im Theater Krefeld Mönchengladbach

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